Mutwillig
Alexandra Wochinger Gedichte / Haikus
Literareon-Verlag München. 2008.
Textauswahl
frühling
großäugiges einhorn
steckt wie gedankenverloren
seinen gesenkten kopf
ins sprießende grün
aus den dunklen feuchten
des bodens emporwachsend
athene, das kraftvoll weib,
sich windend in gleißender lust
schrille botschaft der vögel hoch oben
laut wie ein drohendes gewitter,
das dann doch nur
als lauer schauer niederrieselt
der wald, der wald,
der nicht wirklich stirbt,
dauerhaft nur krankt
mit schwer atmender lunge
begleitet von selbstgefälligem gelächter
das treiben der knospen
blaues etwas sticht das herz
mitten ins schmerzhaft-schöne erwachen
gnade
opferlämmer braucht es,
um die götter milde zu stimmen
so sagen sie
seit jahrtausenden
doch wo bleibt sie nur,
die milde
der großen götter
wo die schar der opferlämmer
zur unzählbarkeit angewachsen ist
korbinian
er hätte keine luft
für nichts, meint er
der gute korbinian
mit seinem
überdimensionierten kopf,
der in der oberen hälfte
der sanduhr steckt
und seinen zwei beinen,
die er in der unteren sanduhrhälfte vermutet
aber so sicher ist er sich da nicht,
denn so viel spürt er nicht mehr,
der korbinian
weil es ihm irgendwo zwischen oben und unten
brust und herzkorb zusammendrückt
und das schon seit jenem tag,
an dem ihm die zeit davonzulaufen begann